📝 Die Geschichte auf einen Blick

  • Die Gleichgewichtsfunktion dient als wichtiger Indikator für gesundes Altern und Langlebigkeit: Bessere Gleichgewichtswerte gehen direkt mit einer höheren Lebenserwartung und geringeren Gesundheitsrisiken einher.
  • Menschen mit einem eingeschränktem Gleichgewichtssinn müssen dreimal häufiger ins Krankenhaus eingeliefert werden und haben ein doppelt so hohes Risiko, an chronischen Krankheiten zu erkranken, verglichen mit Menschen mit gutem Gleichgewichtssinn.
  • Gleichgewichtstraining führt zu messbaren Verbesserungen in der Gehirnstruktur, erhöht das Volumen der grauen Substanz und fördert die Bildung neuer neuronaler Verbindungen, welche die allgemeine kognitive Funktion verbessern.
  • Ein einfacher 10-Sekunden-Einbein-Gleichgewichtstest sagt das Sterberisiko bei Erwachsenen über 50 genau voraus und erweist sich als zuverlässiger als viele komplexe medizinische Untersuchungen.
  • Schon 12 Wochen regelmäßiges Gleichgewichtstraining verbessern sowohl die körperliche Stabilität als auch die Gehirnfunktion - mit positiven Effekten in allen Altersgruppen.

🩺Von Dr. Mercola

Ein gutes Gleichgewicht wird mit zunehmendem Alter immer wichtiger. Es spielt eine zentrale Rolle bei der Erhaltung der körperlichen Funktionsfähigkeit, der Sturzprävention und der Förderung des allgemeinen Wohlbefindens älterer Menschen.

Die körperliche Stabilität beeinflusst weit mehr als nur die Fähigkeit, aufrecht zu stehen. Eine umfassende Analyse der Gleichgewichtsfunktion, die im Journal of Clinical Medicine veröffentlicht wurde, zeigt deutliche Zusammenhänge zwischen der Gleichgewichtsfähigkeit und zahlreichen Gesundheitsmarkern, darunter kognitive Leistungsfähigkeit, kardiovaskuläre Fitness und das allgemeine Sterberisiko.

Die Beurteilung deines Gleichgewichts kann dir also wertvolle Erkenntnisse über deinen aktuellen und zukünftigen Gesundheitszustand liefern. Fortschrittliche Bewertungstools wie der Balance Evaluation Systems Test (BESTest) bieten eine detaillierte Analyse verschiedener Gleichgewichtssysteme und ermöglichen es Fachkräften, Bereiche zu identifizieren, die besondere Aufmerksamkeit erfordern, bevor ernsthafte Probleme auftreten. Aber auch einfache Gleichgewichtstests zu Hause können dir eine klare Vorstellung davon geben, wie hoch dein Risiko ist.

Gleichgewichtstests zeigen deutliche Zusammenhänge mit der allgemeinen Gesundheit und Funktionsfähigkeit

Eine wegweisende Studie der Universität Aveiro in Portugal untersuchte den Zusammenhang zwischen Gleichgewichtsfähigkeit und verschiedenen Aspekten des gesunden Alterns. Forscher analysierten 118 ältere Erwachsene mithilfe umfassender Instrumente zur Gleichgewichtsbewertung, darunter der BESTest sowie seine kürzere Version, der Mini-BESTest und der Brief-BESTest.

Weitere Tests umfassten den Five Times Sit to Stand (5STS), den 10-Meter-Gehtest (10MWT), das Brief Physical Activity Assessment Tool (BPAAT) und das Quality of Life-Bref (WHOQoL-Bref) der Weltgesundheitsorganisation.

Die Tests zeigten signifikante Zusammenhänge zwischen der Gleichgewichtsleistung und wichtigen Gesundheitsindikatoren. Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer lag bei 76 Jahren, davon waren 66,9 % weiblich. Das Forschungsteam stellte fest, dass Personen mit besseren Gleichgewichtswerten über größere funktionelle Fähigkeiten, eine schnellere Gehgeschwindigkeit, ein höheres Maß an körperlicher Aktivität und insgesamt eine verbesserte Lebensqualität verfügten.

Wie zu erwarten war, erwiesen sich Gleichgewichtstests auch bei der Identifizierung von Personen mit erhöhtem Sturzrisiko als besonders zuverlässig. Personen, die mehrere Stürze erlebt hatten, schnitten bei allen Gleichgewichtstests deutlich schlechter ab als Personen, die nur einmal oder gar nicht gestürzt waren. Am deutlichsten wurde dieser Unterschied beim Mini-BESTest, der nur 10 bis 15 Minuten dauert.

Das Ausmaß der körperlichen Aktivität war stark mit der Gleichgewichtsfähigkeit verbunden. Forschende stellten fest, dass die meisten Teilnehmende (73,7 %) zwar als nicht ausreichend aktiv eingestuft wurden, diejenigen mit besseren Gleichgewichtswerten jedoch ein höheres Aktivitätsniveau beibehielten. Jede einzelne Person in der Gruppe mit mehreren Stürzen wurde als nicht ausreichend aktiv eingestuft, was die kritische Verbindung zwischen Bewegung und Stabilität verdeutlicht.

Auch die Gehgeschwindigkeit erwies sich als ein entscheidender Indikator für die Gleichgewichtsfunktion. Studienteilnehmende mit besonders guten Gleichgewichtswerten gingen bei standardisierten Tests deutlich schneller. Dieses Ergebnis ist besonders relevant, da die Gehgeschwindigkeit als anerkannter Indikator für die allgemeine Gesundheit und Selbständigkeit älterer Menschen gilt.

Auch die Werte zur Lebensqualität bestätigten dieses Bild auf eindrucksvolle Weise.  Ein besseres Gleichgewicht ging mit höheren Werten in allen Bereichen der Lebensqualitätsbewertung der Weltgesundheitsorganisation einher, einschließlich körperlicher Gesundheit, psychischem Wohlbefinden, sozialen Beziehungen und Umweltfaktoren.

Das Forschungsteam legte spezifische Grenzwerte fest, mit denen Gesundheitsfachkräfte gefährdete Personen erkennen können. Beispielsweise deutet es auf ein höheres Sturzrisiko und die Notwendigkeit eines Eingreifens hin, wenn für fünf Aufstehbewegungen mehr als 13.5 Sekunden benötigt werden oder die Geschwindigkeit unter 1,2 Metern pro Sekunde liegt.

Körperkraft und Gleichgewicht steigern gemeinsam die Lebensqualität

Im Rahmen einer entsprechenden Studie der Universität Madeira in Portugal wurden 802 ältere Erwachsene beobachtet, um zu verstehen, wie Muskelkraft und Gleichgewicht die Lebensqualität beeinflussen. Die Studie zeigte, dass starke Beine und eine gute Körperstabilität entscheidend dafür sind, wie körperliche Aktivität das allgemeine Wohlbefinden fördert.

Die Vorteile von Bewegung entfalten sich auf zwei zentrale Arten. Eine stärkere Beinkraft erklärte 39,6 % der positiven Auswirkungen körperlicher Aktivität auf die Lebensqualität aus, während ein verbessertes Gleichgewicht weitere 47 % ausmachte. Zusammen erklärten diese Faktoren beeindruckende 98 % des Zusammenhangs zwischen körperlicher Aktivität und Wohlbefinden.

Die Studie lieferte außerdem wichtige Erkenntnisse darüber, wie stark das Alter die Stabilität beeinflussen kann. Zwischen dem jungen Erwachsenenalter und dem 80. Lebensjahr verschwinden etwa 20% bis 30 % der Muskelmasse, wobei die schnell zuckenden Muskelfasern besonders stark abnehmen. Dieser Verlust beeinträchtigt besonders die Fähigkeit, bei Gleichgewichtsstörungen schnell die Haltung zu korrigieren, wodurch das Sturzrisiko steigt.

Das zentrale Nervensystem behält kontinuierlich die Körperlage im Blick - über Augen, Innenohr und andere Körpersensoren. Anschließend entscheidet das System schnell, welche Muskelreaktionen das Gleichgewicht bei Bedarf am effektivsten wiederherstellen. Altersbedingte Veränderungen der Muskelfasern stören dieses komplexe System. Wie die Forschenden feststellten:

„Eine mögliche Ursache für den Verlust der Muskelkraft im höheren Alter kann eine Skelettmuskelfaseratrophie Typ II aufgrund physiologischer Alterung sein. Die nachlassende Fähigkeit der Muskelfasern, die Blutgefäße zu erweitern, lässt sich unter anderem durch den schrittweisen Verlust von Kapillaren erklären. 
Regelmäßige körperliche Aktivität kann dazu beitragen, die Kapillarversorgung der Muskeln zu verbessern, da sie den Muskelblutfluss steigert. Mit zunehmendem Alter kann der Verlust an Muskelkraft auf eine Athropie der schnellen Skelettmuskelfasern Typ II zurückzuführen sein, was zu einer verringerten physiologischen Reserve und damit zu erhöhter Gebrechlichkeit führt." 

Studien haben gezeigt, dass ältere Erwachsene bestimmte Strategien entwickeln, um ihre aufrechte Haltung beizubehalten. Wird das Gleichgewicht gestört, reagieren sie meist in drei Schritten: mit Knöchelanpassungen, Hüftbewegungen und einem Schritt zur Stabilisierung. Das Gehirn steuert diesen Prozess, indem es Signale an die Hüft- und Knöchelmuskulatur sendet, um die notwendigen Ausgleichsbewegungen auszulösen.

Diese Erkenntnisse unterstreichen, wie wichtig Trainingsmethoden sind, die Krafttraining mit schnellen Bewegungsmustern verbindet, um möglichst viele Muskelfasern zu aktivieren. Aktivitäten wie Multitasking-Übungen, Tanzen und Dual-Task-Training erweisen sich als besonders effektiv für den Aufbau von Kraft und Stabilität.

Die Gehirnaktivität beim Gleichgewicht weist deutliche altersbedingte Muster auf

Bahnbrechende Studien unter Einsatz moderner Gehirnbildgebung zeigen, dass sich ältere und jüngere Gehirne in der Kontrolle des Gleichgewichts unterscheiden. Wissenschaftler der Universität Freiburg untersuchten die Gehirnaktivität von 62 Erwachsenen bei der Durchführung verschiedener Gleichgewichtsaufgaben mithilfe der Nahinfrarotspektroskopie.

Die Studie offenbarte deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Beim Balancieren zeigten jüngere Erwachsene eine geringere Aktivität im präfrontalen Kortex, dem Zentrum für Planung und Entscheidungsprozesse im Gehirn.  Stattdessen wiesen sie eine erhöhte Aktivität in den Bereichen auf, die Körperbewusstsein und Bewegung steuern, was darauf schließen lässt, dass ihre Gleichgewichtskontrolle eher automatisch ablief.

Bei älteren Menschen stieg die Aktivität im präfrontalen Kortex selbst bei einfachen Balanceaufgaben, was darauf hindeutet, dass ihr Gehirn stärker beansprucht wurde, um die Stabilität zu sichern. Diese zusätzliche kognitive Belastung zeigt, dass das Gleichgewicht im Alter weniger automatisch funktioniert und zunehmend bewusste Steuerung erfordert.

Die Studie stellte jedoch auch fest, dass das alternde Gehirn eine bemerkenswerte Fähigkeit zur positiven Anpassung behält, da Gleichgewichtstraining messbare Veränderungen in der Gehirnstruktur bewirkte. Nach 12 Wochen Gleichgewichtsübungen hatte das Gehirn der Teilnehmenden mehr graue Substanz in den motorischen Kontrollbereichen und die Kommunikation zwischen den Gehirregionen hatte sich verbessert. 

Die neuronalen Bahnen, die das Gleichgewicht steuern, sind also äußerst anpassungsfähig. Interessanterweise zeigte sich auch, dass Gleichgewichtstraining Gene aktiviert, die den sogenannten vom Gehirn abgeleiteten neurotrophen Faktor (BDNF) steuern – ein Protein, das bestehende Nervenzellen stärkt und das Wachstum neuer neuronaler Verbindungen im Gehirn fördert. Dies weist auf einen direkten biologischen Mechanismus hin, durch den Gleichgewichtsübungen die Gehirnfunktion stärken. Die Trainingseffekte zeigten sich dabei über alle Altersgruppen hinweg bemerkenswert einheitlich.

Obwohl sie mit unterschiedlichen Grundmustern der Gehirnaktivität begannen, zeigten sowohl ältere als auch jüngere Erwachsene ähnliche Verbesserungsraten bei der Entwicklung neuronaler Bahnen. Diese Erkenntnis unterstreicht die lebenslange Fähigkeit des Gehirns, die Kontrolle über das Gleichgewicht durch gezieltes Training zu verbessern.

Einfache Gleichgewichtstests decken versteckte Gesundheitsrisiken auf

Der Associated-Press-Bericht zeigt, dass einfache Tests zu Hause das Sturzrisiko und die allgemeine Gesundheit zuverlässig einschätzen können. Dr. Greg W. Hartley, Professor der Physiotherapie an der University of Miami, empfiehlt einen einfachen Einbein-Gleichgewichtstest, um wichtige Hinweise über den Gesundheitszustand und das Sturzrisiko zu erhalten.

Der Test ist unkompliziert. Stell dich zur Sicherheit in die Nähe einer Wand und hebe einen Fuß vom Boden ab. „Wenn du auf jedem Bein 10 Sekunden lang das Gleichgewicht halten kannst, ist alles in Ordnung“, erklärt Hartley. Wer diese Position nicht halten kann, sollte sich professionell untersuchen lassen. 

Ein weiterer Test, das „Timed-Up-and-Go“ (TUG), überprüft die funktionelle Mobilität. Bei dem Test wird die Zeit gestoppt, die man braucht, um aufzustehen, 10 Meter zu gehen, zurückzukommen und sich wieder hinzusetzen. Zeiten über 15 Sekunden weisen auf ein sehr hohes Sturzrisiko hin, während die Bewältigung der Aufgabe in 12 Sekunden oder weniger ein geringes Risiko bedeutet.

Die hohen Kosten im Gesundheitswesen verdeutlichen, wie wichtig Prävention ist. Laut den US-amerikanischen Centers of Disease Control and Prevention benötigen jedes Jahr drei Millionen ältere Amerikaner medizinische Versorgung aufgrund von Sturzverletzungen. Dr. Roopa Anmolsingh von der Cleveland Clinic betont jedoch, dass Stürze im Alter nicht unvermeidlich sind und durch gezielte Beurteilung sowie entsprechende Maßnahmen verhindert werden können.

Am besten beginnt man ab dem 50. Lebensjahr, das Gleichgewicht zu trainieren. Auch kleine Unsicherheiten sind ein Grund für eine ärztliche Untersuchung, denn das Gleichgewicht hängt von vielen Körpersystemen ab. Probleme können am Blutdruck, an Medikamenten, an der Funktion des Innenohrs oder am Nervensystem liegen.

Die gute Nachricht: Selbst einfache Alltagsaktivitäten bieten Möglichkeiten, das Gleichgewicht zu trainieren. Anmolsingh rät zum Beispiel dazu, beim Warten in einer Schlange auf einem Bein zu stehen, ohne Armlehnen zu sitzen und zu stehen und das Bein in drei Richtungen zu heben, während man sich an einer Theke festhält.

Einfache Alltagsübungen für besseres Gleichgewicht und ein längeres Leben

Neben den bereits erwähnten Übungen werden hier noch weitere vorgestellt. Diese Übungen aktivieren mehrere Gleichgewichtssysteme und stärken gleichzeitig die wichtige Verbindung zwischen deinem Gehirn und deinen Muskeln. Wenn du neu anfängst, mach zuerst die Übungen 1 bis 3 und steigere dich nach und nach, indem du die anderen hinzufügst.

1. Übe das Fersen-Zehen-Gehen wie auf einem Seil – Gehe 20 Schritte vorwärts und halte dabei den Blick auf einen festen Punkt vor dir gerichtet. Es verbessert die räumliche Wahrnehmung und die Koordination.

2. Unterstützte Kniebeugen mit einem Stuhl -  Stelle die Füße hüftbreit auseinander und senke dich ab, als würdest du dich auf einen Stuhl setzen, während du dich am Stuhl festhältst. Starte mit fünf Wiederholungen und erhöhe die Anzahl allmählich.

3. Sitzen oder Knien auf einem Gymnastikball – Beginne mit 30 Sekunden und verlängere die Zeit nach und nach, während dein Gleichgewicht besser wird.  Dadurch werden die tiefen Rumpfmuskeln aktiviert und die allgemeine Stabilität gestärkt.

4. Sanfte Tai-Chi- oder Yoga-Bewegungen – Diese Übungen verbinden Atmung, Bewegung und Gleichgewicht und verbessern so deine Koordination und räumliche Wahrnehmung.

5. Stärke deine Knöchel — Starke Knöchel sind entscheidend für die Stabilität. Versuche, im Sitzen das Alphabet mit deinem Fuß nachzuzeichnen oder übe im Stehen das Aufrichten auf die Zehenspitzen.

6. Dynamische Gleichgewichtsübungen — Versuche, in verschiedenen Mustern zu gehen – seitwärts, rückwärts oder in einer Acht – um dein dynamisches Gleichgewicht zu trainieren.

Integriere diese Übungen regelmäßig in deinen Tagesablauf. Versuche, während der Fernsehwerbung Gleichgewichtsübungen zu machen, beim Lesen deine Knöchel zu trainieren oder bei Wegen innerhalb der Wohnung verschiedene Muster zu üben. Starte langsam und steigere dich Schritt für Schritt. Das Ziel ist, das Gleichgewicht zu trainieren, wobei die Sicherheit stets an erster Stelle steht.

Obwohl 50 oft als "ideales" Alter für Gleichgewichtsübungen genannt wird, ist es nie zu früh, daran zu arbeiten. Wenn du diese Übungen in jedem Alter in deinen Alltag einbaust, legst du die Grundlage für ein besseres Gleichgewicht im Alter.